Turnus: journalliterarische Mnemopoetik 1813 — 1863 — 1913 (TP 2)

Zusammenfassung

Im Mittelpunkt der Projektarbeit stehen durch das Medienformat Journal angestoßene, thematisierte und reflektierte Akte des Erinnerns. Das Erkenntnisinteresse richtet sich dabei auf mnemopoietische, in den Bahnen einer Gedenkenlogik experimentierende Formen journalliterarischer Zeitverschriftung zwischen der unmittelbaren Dokumentation von Ereignissen einerseits und aus größerer zeitlicher Distanz gewonnenen historiographischen Narrativen andererseits. Der Untersuchung liegt die Prämisse zugrunde, daß Journale aufgrund ihrer medialen Formatspezifika Aktualität, Periodizität, Unabgeschlossenheit/Serialität und Paratextualität prädestiniert sind, Daten und Ereignisse in der rekursiven Logik von Jahrestagen oder Jubiläen auszuwählen, in Erinnerung zu rufen, zu modellieren und sie so als prinzipiell geschichtsträchtig und historiographiewürdig zu markieren. Das Teilprojekt sucht dies im Begriff des ›Turnus‹ zu fassen, der als Ordnungsfigur der Wiederkehr Journalperiodizität und Formen regelmäßigen Gedenkens zusammenschließt. Untersucht werden sollen mnemopoietische Verschriftungen der Befreiungskriege 1813-1815 in journalförmigen, anthologischen und auf Erinnerungsarbeit spezialisierten neuartigen Form(at)en, beispielsweise in Gestalt von »Rückblicken«, und zwar dominant synchron im Zeitraum von 1813 bis 1818 sowie ausgehend von den aus der Leipziger Völkerschlacht abgeleiteten Jubiläumsjahren 1863 und 1913 in Gestalt diachroner Längsschnitte, die Konjunkturen oder Verschiebungen im Turnus zutage fördern sollen.

Der synchrone Blick richtet sich in dieser neuen Perspektivierung zum einen auf das (im Verlauf der Projektarbeit förmlich explodierte) Corpus von TP 2.1, somit auf Journale mit Unregelmäßigkeiten der Periodizität, zum andern aber auch auf Journale, für die ein regelmäßiger Erscheinungsrhythmus kennzeichnend ist: die National-Zeitung der Deutschen (1796-1811, 1814-1829), die Vaterländischen Blätter für den österreichischen Kaiserstaat (1808-1820), die Frankfurter Ober-Postamts-Zeitung (1615-1866), das Morgenblatt für gebildete Stände (1807-1865) und das Leipziger Tageblatt (1807-1925). Die Längsschnittanalysen werden sich der Wiener Zeitung (1703-1940), der Allgemeinen Zeitung (1798-1929), der Leipziger Zeitung (1810-1918), der Illustrirten Zeitung (1843-1944) und der Berliner Illustrirten Zeitung (1892-1945) zuwenden.

Der analytische Zugriff geht dabei von drei, fallweise interagierenden Formen mnemopoietischer Verschriftung aus: (1) Erinnerungsakte, die durch das jeweilige Medium angestoßen und vollzogen werden, etwa in Gestalt ereignisbezogener Appelle oder Erwartungen, deren bloße Artikulation bereits Gedenken generiert (performativ-materiale Dimension); (2) solche, die verschriftete Zeit aufgreifen und in der jeweiligen medialen Logik reinszenieren, bspw. in Form signifikanter Zusammenführung unterschiedlicher Ereignisse oder der Einordnung von Zeitgeschehen in bereits bestehende Deutungslinien (konstellativ-serielle Dimension); (3) Formen reflexiver Durchdringung im jeweiligen Medium, indem mnemopoietische Akte gespiegelt, thematisiert, auf ihre Gesetzmäßigkeiten hin befragt werden (reflexiv-mnemopoetologische Dimension). Ziel ist eine differenzierte Bestimmung der medienformatinduzierten Strukturen und Regeln mnemopoietischer Bearbeitung ›unmittelbarer‹ Zeitaufzeichnung, somit von Formen einer Zeitverschriftung zweiter Ordnung. Das Teilprojekt begibt sich damit auf von der Forschung bisher kaum beschrittenes Terrain. Geschichtswissenschaftliche Untersuchungen befragen journalförmige Medienformate in erster Linie als Quellen und stellen auf darin Mitgeteiltes scharf. Die literaturwissenschaftliche Forschung konzentriert sich vorwiegend auf buchförmige Veröffentlichungen und setzt, werden journalförmige denn überhaupt in Betracht gezogen, an der Untersuchungsgröße ›Text‹ an. Unberücksichtigt bleibt dabei der formatspezifische Beitrag des jeweils mitteilenden Mediums zur Etablierung der auf die Befreiungskriege bezogenen Gedenkenlogiken. In diese Lücke such das Teilprojekt mit seinem medien- und materialbezogenen Untersuchungsvorhaben zu stoßen.