Text/Bild-Konkurrenzen. Illustrationen in Journaltext(ur)en (TP 4)

Zusammenfassung

Da für diese Teilprojektvorstellung die Illustrationen selbst zentral sind, verwenden Sie bitte synchron zum folgenden Text die beigefügte Präsentation (PDF).

Ende des 18. Jahrhunderts entwickelt sich aus dem traditionellen Holzschnitt der Holzstich, die Xylographie. Holzstiche bieten entscheidende Vorteile: Erstens werden sie, wie Holzschnitte und anders als Kupfer- oder Stahlstiche, zusammen mit dem Schriftsatz gedruckt, so daß ein weiterer, teurer und fehleranfälliger Arbeitsgang entfällt. Zweitens ermöglichen Holzstiche, wie Kupfer- oder Stahlstiche und anders als der recht grobe Holzschnitt, den Einsatz prestigiöser bildlicher Darstellungsmittel: Haarfeine Linien, differenzierte Schraffuren und Strichlagen etwa gestatten nuancierte Tonwerte und malerische Lichtwirkungen Abb. 1. Drittens ist es möglich, von xylographischen Druckstöcken Klischees zu fertigen, Kopien aus Schriftmetall von stetig zunehmender Qualität; so können xylographisch illustrierte Texte zeit- und kostensparend gleichzeitig von mehreren Druckformen gedruckt werden, und Holzstiche können, gewinnbringend für den Käufer, preiswert für den Abnehmer, exportiert und andernorts wiederholt werden Abb. 2. Und schließlich sind Xylographien – die Klischees ohnehin, aber auch die hölzernen Druckstöcke, im Unterschied zum Holzschnitt – schnellpressentauglich.

Die Folge all dessen ist um 1830–1850 eine Revolution der Textbebilderung, geradezu die Erfindung der ›Illustration‹: Das vordem exklusive Ausnahmephänomen gemeinsamer Präsenz von Bild und Text auf einer (Doppel )Seite wird zum massenmedialen Normalfall. Angesichts dessen befragt Teilprojekt 4 die international vernetzte illustrierte Literatur jener Zeit auf spezifische Illustrationspraktiken, die der Durchbruch xylographischer Textbebilderung mit sich bringt. Analysiert werden hierfür deutsche, französische und englische illustrierte Texte in Buch und Journal, insbesondere solche, die Abhängigkeitsverhältnisse aufweisen. Sie nämlich erlauben aufschlußreiche vergleichende Studien: Wenn etwa Holzstichbilder eines Buchs via Klischee ins Journal auswandern Abb. 3; oder wenn Xylographien von einem Journal in ein anderes übernommen werden Abb. 4 – dann eröffnet die Untersuchung solchen Materials die Chance einer Rekonstruktion von Text/Bild-Beziehungen, die dem jeweiligen Medienformat eigentümlich sind.

Ziel der Projektarbeit ist die Profilierung journalspezifischer Formen des Verhältnisses von Xylographie und Text – und zwar vor der Folie druck- bzw. satztechnischer, verlagsstrategischer, werkpolitischer, ökonomischer und lokaler Bedingtheiten, die ineinanderspielen. Einige Perspektiven seien hier umrissen.
Im illustrierten Journal herrscht, anders als im illustrierten Buch, der kostensenkende und verkaufsfördernde ›alternierende Satz‹, d.h. bebilderte und bildfreie Doppelseiten wechseln einander ab. Wird dadurch die illustrierte Journaldoppelseite zu einer Rezeptionseinheit, über die stimmige, semantisierte Bild/Text-Arrangements kommuniziert werden? Abb. 5
Im Unterschied zum Buch ist das illustrierte Journal meist in mehreren Spalten gesetzt, die ein Strich o.ä. voneinander trennt. Inwieweit beeinflußt dieser Textsatz den Bildaufbau xylographischer Journalillustrationen Abb. 6? Und inwieweit wirken entsprechend komponierte Holzstiche auf ihre Textumgebung zurück, dahingehend etwa, daß sie ihr nach Maßgabe des Bildgegenstands ikonisch-mimetische Züge mitteilen? Abb. 7

Der Einkauf wohlfeiler Bildklischees ist eine ökonomische Existenzbedingung illustrierter Journale – in welchem Maß regt ein solcher Illustrationsmarkt sinnstiftende Rearrangements von Elementen vorgängiger illustrierter Texte an Abb. 8? Und: Nutzt nur ein Leipziger Verlagsnetzwerk solchen Illustrationsexport dazu, um dem störenden Fragmentcharakter buchförmiger illustrierter Werke, die in Lieferungen interrupt erscheinen Abb. 9, mittels des illustrierten Journals zu begegnen Abb. 10? Und nicht zuletzt erlauben Holzstichklischees rezeptionskulturelle Rückschlüsse: Klischeeübernahmen sind Rezeptionsakte für Rezipienten, in denen Parameter des zeitgenössischen Lesens und Betrachtens von illustrierten Texten greifbar werden. Abb. 11

Unter diesen Leitaspekten konzentriert sich das Teilprojekt darauf, wie illustrierte Journale medienformatspezifisch eine engere Kooperation von Bild und Text befördern, eine Annäherung beider durch den Holzstich infolge nun gängiger Kopräsenz von Bild und Text auf einer Druck(doppel)seite. Natürlich geraten gegenläufige Tendenzen gleichfalls in den Blick: etwa, daß Holzstichklischees und ›alternierender Satz‹ auch die Herauslösung und Verselbständigung des ›eigentlich‹ subordinierten Bilds aus dem illustrierten Text fördern; oder, daß die Möglichkeit gemeinsamen Drucks von Bild und Schrift auch inkohärente Texturen zeitigt, die Bild und Text als den heterogenen Stoff ausstellen, aus dem sie gemacht sind Abb. 12; kurz: daß der Holzstich vormalige Text/Bild-Hierarchien untergräbt und deren Umkehrung begünstigt. So spürt das Teilprojekt dem neuen Neben-, In-, Mit- und Gegeneinander von Text und Bild nach, das sich mit der Durchsetzung xylographischer Illustrationen in Buch und Journal einstellt. Mit einem Wort, das den Überlagerungen jener Momente Rechnung trägt: untersucht werden ›Konkurrenzen‹ von Text und Bild, was den Wettstreit beider ebenso meint wie eben auch, der Etymologie von ›Konkurrenz‹ folgend, Formen des Nebeneinanders oder der Kooperation. Abb. 13