Ihre konzeptuellen Ressourcen gewinnt die Forschergruppe aus einer gemeinsamen Begrifflichkeit. Diese Begriffe sind einesteils als Ergebnis mehrjähriger Zusammenarbeit bereits gesetzt, andernteils steht ihnen ein Set explorativer Begriffe zur Seite, deren projektübergreifende Reichweite in der Teilprojektarbeit und im Austausch zwischen den Teilprojekten erprobt wird.
Gesetzte Begriffe:
Als ihr konzeptuelles Zentrum begreift die Forschergruppe die journalliterarisch modellierten und aufeinander bezogenen Begriffe Paratext und Flow. Deren Stärke sehen wir zum einen in ihrem medienkomparatistischen Potential: indem sie ursprünglich von anderen Medien ausgehend konzeptualisiert wurden, helfen sie die Spezifik des Journals zu konturieren und tragen so das Projekt der Medienliteraturgeschichte in sich. Zum andern erlauben, ja fordern sie die systematische Zusammenschau dessen, was sich auf der Journalseite nicht trennen läßt und was wir mit dem übergeordneten Begriff ›Journalliteratur‹ bezeichnen: das Nebeneinander, Nacheinander und Ineinander von Schrifttexten und Bildern im ganzen medialen Spektrum periodischer Formate. Hinzu kommt, der konzeptuellen Erschließung praktisch vorgeordnet, ein für die differenzierte Beschreibung und Relationierung der Untersuchungsgegenstände unverzichtbarer abgestufter Format-Begriff.
Format: Im typographischen Verständnis der Buchdruckerpraxis gibt das Buchformat auf der konkreten Materialebene Auskunft über die Anzahl der Blätter pro Falzbogen sowie die ungefähre Buchhöhe. Ausgehend von diesem typographischen Format, das in den Typographie-Handbüchern des 19. Jahrhunderts typischerweise korreliert wird mit bestimmten Layoutentscheidungen sowie mit Medien, die durch ein bestimmtes typographisches Dispositiv gekennzeichnet sind, postuliert die Forschergruppe einen abstrakteren Formatbegriff zur Bezeichnung einer in der materialen Erscheinungsform begründeten Unterscheidung. In diesem Sinn verwenden wir den Formatbegriff zur Bezeichnung der medialen Grunddifferenz zwischen Journalförmigkeit und Buchförmigkeit sowie der aus der jeweiligen ›Formatierung‹ resultierenden Publikations-, Distributions- und Rezeptionsmodi. Zur differenzierenden Feinabstufung unterscheiden wir folgende drei Ebenen: Als mediales Format oder Medienformat bezeichnen wir das Set von Regeln, das Erscheinungsweise und Erscheinungsbild von Journal (d.i. Zeitschrift und Zeitung) einerseits, Buch andererseits prägt sowie von in diesem Spannungsfeld angesiedelten Zwischenformen serieller Publikation wie Lieferungswerk oder literarisches Taschenbuch. Mit dem Begriff generisches Format differenzieren wir innerhalb des jeweiligen medialen Formats unterschiedliche gattungsspezifische Typen, z.B. innerhalb des Medienformats Journal Zeitschriften- und Zeitungstypen wie Korrespondenzblatt, Intelligenzblatt, Unterhaltungsblatt, illustriertes Familienblatt. Unterhalb des generischen Formats unterscheiden wir das spezielle Format des einzelnen Gattungsvertreters, bspw. der Illustrirten Zeitung oder der Neuen Rundschau.
Paratext/Peritext: Gegenüber der relativen Homogenität des Medienformats Buch ist es konstitutiv für das Medienformat Journal, daß »viele unterschiedene Texte (und Bilder) der Rahmung durch die periodisch erfolgende Veröffentlichung unterliegen«, daß »das publizistische Datum einer Ausgabe das Nacheinander ihrer Texte und Bilder zu einem Nebeneinander« vereinigt. Zur Bezeichnung dieses heterogenen Nebeneinanders greifen wir auf den von Gérard Genette 1987 in Seuils (dt. Paratexte) geprägten Paratextbegriff zurück und modifizieren ihn journalliterarisch.
Genette hat mit seinem Konzept der Paratextualität, unter dem er, differenziert nach dem Kriterium Autorschaft, (autographe) Peritexte und (allographe) Epitexte faßt, den Blick darauf gelenkt, daß die Weichen für die Rezeption eines Textes wesentlich von ihn rahmenden Texten gestellt werden. Dabei ist der vielfältig textuell gerahmte Text so emphatisch wie selbstverständlich buchförmig und literarisch-schriftgebunden gedacht und – im Gegensatz zu den ihn rahmenden Peri- und Epitexten, eben den Paratexten – fraglos im Singular. Diese Selbstverständlichkeit, Texte buchförmig zu denken, und zwar monographisch buchförmig als Werk, nicht als Teile eines Sammelbands, einer Anthologie oder einer Taschenbuchserie, wird durch die vielfältigen materialen Erscheinungsformen der auf dem literarischen Markt des 19. Jahrhunderts konkurrierenden Medienformate in Frage gestellt. Die Forschergruppe reagiert darauf mit einer konzeptuellen Diversifizierung und einer modalen Erweiterung des Paratextbegriffs.
Konzeptuell trägt sie dem Umstand Rechnung, daß in nichtmonographischen Medienformaten (der Zeitschrift, der Zeitung, dem Taschenbuch, der Anthologie, dem Sammelband) der einzelne Text nicht als paratextuell gerahmter Text im Singular erscheint, sondern von anderen Texten räumlich-simultan und (im Fall periodischer Medienformate) zeitlich-sequentiell umstellt. Nicht nur durch Titel, Autornennung, Fußnoten (also auf den jeweiligen Text bezogene Paratexte im Genetteschen Sinn) wird die Textrezeption gerahmt, sondern durch die (ihrerseits jeweils auf diese Weise gerahmten) umgebenden Texte auf der Journalseite, in der Journalnummer, in den Folgenummern, im Taschenbuchjahrgang, in der Anthologie. Dieses heterogene Nebeneinander beschreiben wir mit dem Begriff der Paratextualität (zu griech. pará ›neben‹). Vom Genetteschen Paratextkonzept unterscheidet sich das der Forschergruppe texttheoretisch insofern, als Paratextualität in unserem Verständnis räumlich über eine Relation der Kontiguität zustandekommt, also nicht voraussetzt, daß die Paratexte von vornherein als Rahmen eines zentral gesetzten Textes konzipiert seien. Vielmehr wird Rahmung dynamisch als Resultat der jeweiligen, womöglich typographisch gelenkten Rezeptionsentscheidung für den aktuell gelesenen Text begriffen. Im Akt der Lektüre verhalten sich zum je gelesenen Text die umgebenden Texte paratextuell et vice versa. Demgegenüber bezeichnen wir das unmittelbar auf den einzelnen Text bezogene Genettesche ›Beiwerk‹ (Titel, Gattungsangabe, Autor‑/Künstlername, Fortsetzungsmarker, redaktionelle Fußnoten u.ä.) als Peritexte (zu griech. perí ›um … herum‹).
All dies gilt in journalliterarischer Perspektive selbstverständlich nicht nur für schriftgebundene Texte, sondern ebenso für Bilder, wie sie das ›Gesicht‹ journalförmiger Medienformate oder der Zwischenform des literarischen Taschenbuchs programmatisch prägen. Das konzeptuell modifizierte Begriffspaar Paratext/Peritext wird daher modal erweitert, so daß es medienformatübergreifend und modalitätenübergreifend Vergleichbarkeit herstellt für Relationen und Interaktionen zwischen Wort-/Schrifttext und Wort-/Schrifttext, Wort-/Schrifttext und Bild, Bild und Bild innerhalb des publizistischen Rahmens des jeweiligen Erscheinungsortes.
Flow: Mit dem Flow-Begriff hat Raymond Williams 1974 eine Rezeptionserfahrung zu fassen versucht, die mit einer bestimmten, für das Medium Fernsehen spezifischen Anordnung von Inhalten zusammengeht: Flow-Programmierung erzeugt Flow-Erfahrung. Williams geht davon aus, dass diese Erfahrung eine Neuerung des kommerziellen Fernsehprogramms darstellt, das inhaltliche, zeitliche und kausale Zusammenhänge durch Werbepausen, mannigfaltige Vor- und Rückverweise und den dramaturgischen Aufbau zunächst zergliedert, um die fragmentarischen Elemente in einen nicht mehr an Textgrenzen und inhaltlich bestimmte Einheiten gebundenen Fluss zu integrieren. Die Forschergruppe schließt an Williams an und nutzt ›Flow‹ als eine heuristische Kategorie, um (nun gegen Williams) aufzuzeigen, dass bereits die Journale des 19. Jahrhunderts auf analoge Erfahrungen abstellen. Die Zergliederung von schriftbasierten Texten über Seiten und Ausgaben hinweg, das Nebeneinander des Heterogenen, das Platzieren von Werbung in Artikeln, Verweise von Schrifttexten auf entlegene Bilder, die zum Blättern auffordern – all dies scheint darauf zu zielen, die Organisation der textuellen Elemente in der Fläche in ein Nacheinander der Erfahrung umzusetzen, in dem die Grenzen der einzelnen Elemente sich auflösen und zu einem integrativen Fluss verschmelzen. Der Begriff des Flow lenkt nicht nur den Blick auf einen bislang unterbelichteten Aspekt des Journals, sondern ermöglich es überdies, die Zeitschrift medienhistorisch zu verorten.