Rahmungsexperimente: Bildergeschichten um 1900 in deutschen humoristisch-satirischen Blättern und als US-Zeitungscomics (TP 6)

Zusammenfassung

Der US-amerikanische Comic entwickelt sich um 1900 auf den Seiten der Tageszeitungen als Schrift und Bild verschränkende Erzählform. Die frühen Comics entstehen jedoch im doppelten Sinne nicht aus dem und im luftleeren Raum. Sie gehen zurück auf Karikaturen und Bildergeschichten wie sie – von wichtigen Einzelleistungen wie Rodolphe Töpffers Bildergeschichten einmal abgesehen – seit dem zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts in europäischen illustrierten Zeitschriften Verbreitung finden. In Deutschland ist es insbesondere die Märzrevolution, aus deren Umfeld eine Vielzahl von Journalen hervorgeht, darunter der Kladderadatsch (Berlin), die Fliegenden Blätter (München) oder der Münchener Punsch. Sie schließen teils offensiv an Vorbilder aus Frankreich (Le Charivari, Paris) und England (Punch, the London Charivari) an und bleiben selbst nicht ohne Nachfolger, etwa Kikeriki (Wien), Die Wespen (Hamburg, Berlin) und Simplicissimus (München). In den USA etablieren sich vermittelt durch europäische Immigranten in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts ganz ähnliche Periodika, beispielsweise Truth, Judge und Puck. Eine Reihe von Autoren zeichnet in Europa Karikaturen und Bildergeschichten für die neuen Zeitschriften, allen voran der einflussreiche Wilhelm Busch. Als dieser in den 1860er Jahren für den Verlag Braun & Schneider zu arbeiten beginnt, steht er jedoch bereits in einer Tradition von Illustratoren und Bildergeschichten-Erzählern, an die er anknüpft und deren Ideen er in bis dahin ungekannter Weise zusammenführt. War der Pfälzer Thomas Nast der »Vater der amerikanischen Karikatur«, so wurde Busch zum Vater der amerikanischen Bildergeschichte, indem er danach vielfach aufgegriffene Erzählstrategien und -techniken entwickelte und popularisierte. Aus seinen amerikanischen Nachfolgern, Bilderzählern wie Frank M. Howarth und Frederick B. Opper, rekrutierten sich die späteren Comiczeichner.

Die Publikationsbedingungen der Zeitschriften und der Tageszeitungen bestimmen, welche Form Comicerzählungen haben können: Seitenformat und -raster, Produktionsprozesse und Paratexte nehmen Einfluss auf die Formierung der Comics als Medium. So gehen viele Aspekte des humoristischen Comicstrips direkt aus dem medialen Umfeld hervor: drei bis fünf Bilder umfasst ein Strip in der Regel, weil mehr auf der zugewiesenen Fläche der Seite kaum in lesbarer Größe zu drucken sind; serielle Erzählstrategien (z.B. übergreifende Handlungsstränge und einzelne Pointen) ergeben sich aus der Notwendigkeit, für die täglich erscheinende Zeitung zu produzieren; ähnliches gilt für ›stehende Figuren‹. Schon in frühen Comics werden diese Produktionsbedingungen und ihre Auswirkungen reflektiert und humoristisch zur Schau gestellt – vom Spiel mit dem gezeichneten Rahmen des Einzelbilds bis zu explizit selbstreflexiven Darstellungen des Herstellungsrahmens und des Zeichensystems.

Das Teilprojekt »Rahmungsexperimente: Bildergeschichten um 1900 in deutschen humoristisch-satirischen Blättern und als US-Zeitungscomics« betrachtet die transatlantischen Entwicklungen zwischen Bildergeschichten in Journalen und Comics in Zeitungen aus medienkomparatistischer Perspektive insbesondere anhand der selbstbezüglichen Spielformen und mit Blick auf ihre Rahmungen. Mehrere Themenkomplexe spielen dabei jeweils eine zentrale Rolle. So fragt das Teilprojekt nach den visuellen Rahmen und Rahmungsstrukturen von Einzelbildern, Bildfolgen und von Rahmungen geprägten Erzählstrukturen. Daran grenzt der Themenkomplex para- und peritextueller Rahmungen an, also die Fragen nach der mise en page der Bildergeschichte im medialen Kontext des Journals und des Bilderbogens bzw. die nach der Position des Comics in der Zeitung. Welche Auswirkungen hat die jeweilige mediale Einbettung auf die Rezeption? Im Zusammenhang damit steht die Frage nach der Repräsentation und erzählerischen Modellierung von Zeit und Zeitabläufen. Fokussiert werden unter diesem Blickwinkel die Bauweisen von Bildergeschichten und Comics als Darstellungen von Zeitabläufen in der einzelnen Geschichte und über die Sequenz serieller Geschichten hinweg: wiederholte und variierte Plot-Muster, stehende Figuren usw. Erörtert werden ferner die Medienwechsel, die Bildergeschichten und Comics im Beobachtungszeitraum durchlaufen, z.B. vom Journal zum Bilderbogen und zur Zeitung bzw. von der Zeitung zum Buch, denn die auf verschiedene Weisen gestalteten Papierobjekte Zeitung, Heft und Buch sind nicht nur bloße Vermarktungsvehikel, sondern rahmen die darin abgedruckten Bildergeschichten und Comics in medienspezifischer Weise.

Die Untersuchungen werden zum einen anhand repräsentativer Bildergeschichten und Comics durchgeführt – beispielhaft sind Lyonel Feininger, Winsor McCay und George Herriman –, zum anderen mithilfe umfangreicherer digitalisierter Korpora.