Journal/Buch

Was journalliterarischen Publikationsformen die literatur- und kunstwissenschaftliche Wertschätzung tendenziell entzieht: nämlich die Orientierung an Publikum und Mediengebrauch, verbunden mit der Konnotation des Massenhaften, ist mehr als nur ein ästhetisch unliebsamer Begleitumstand. Journalliterarische Rezeptionskulturen in Relation zu buchliterarischen machen einen wesentlichen Faktor der spezifischen Medialität des jeweiligen Medienformats aus. Und umgekehrt sind sie selbst medial verfaßt. Längst trägt die Forschung der Pluralität von Rezeptionskulturen Rechnung und korreliert sie mit der Differenz unterschiedlicher Literaturen und je zugehöriger Medien(formate). Allerdings haben sich im Zuge dieser Unterscheidung, changierend zwischen mehr oder weniger expliziter (Ab‑)Wertung und soziologischer ›Rettung‹, halbwegs homogen gedachte binäroppositionelle Interpretamente herausgebildet: auf der einen Seite, wenig binnendifferenziert, eine populäre, anonyme Massenkultur, auf der anderen eine auf individuelle Autornamen und Werktitel beziehbare exklusive Hochkultur, die durch Selbstverständigung über als autonom entworfene Kunst und Literatur gekennzeichnet sei. Bezogen auf die mediale Formatdifferenz stehen sich in dieser binären Logik Journallektüre und Lektüre von ›Buchliteratur‹ kontrastiv gegenüber: erstere konzeptualisiert als gesellig, extensiv, oberflächlich sowie institutionell Räumen kollektiver Rezeption zugeordnet (tatsächlichen wie imaginären), letztere codiert als einsam, privat, intensiv, ästhetisch motiviert und akademisch.

Demgegenüber zielt die Leitdifferenz »Journal versus Buch« darauf, jenseits theoretisch modellierter Gesamtkonzepte zum Ausgangspunkt den konkreten Mediengebrauch zu machen. Dabei ist es nicht darauf abgesehen, wie in der Forschung bereits vielfältig unternommen, Institutionen- oder Technikgeschichte zu schreiben, sondern auf den Mediengebrauch ›selbst‹ in seiner – prinzipiell freilich unzugänglichen – Präsenz aus der spezifischen Materialität und medialen Selbstreflexion der in Rede stehenden Medienformate zu schließen. Das Erkenntnisinteresse gilt somit dem material implizierten Mediengebrauch, wie er sich in Formen institutionenbezogener Inszenierung, auf dem Wege technik- und mediengeschichtlicher Rekonstruktion evozierter Lektürepraxis oder über die Reflexivität des jeweiligen medialen ›Auftritts‹ erschließen läßt. Eine solche »Archäologie der Lektürepraktiken« im Sinne Roger Chartiers kann jeweils nur in einer materialphilologisch konkretisierten, exemplarischen Praxeologie entfaltet werden.

Von der Leitdifferenz »Journal versus Buch« aus wird darum in synchronen Schnitten dominant mediensystematisch gefragt, und auch hier gilt das Augenmerk den Übergängen und potentiell zirkulär verlaufenden Wechsel- und Rückkopplungsrelationen zwischen Medien und ihren implizierten Akteuren. Untersucht wird Rezeptionskultur als ein Komplex heterogener, nicht trennscharf abzugrenzender, vielmehr sich überlagernder Prozesse in öffentlichen und halböffentlichen Räumen, die in teils gesteuerten, teils kontingenten Mischungen ›den‹ literarischen Markt konstituieren. Dabei stehen weniger tatsächliche Lektürepraktiken zur Debatte als die mediale Inszenierung von Lesen, von Publikum, von medialen Formaten, was wiederum reflexiv rückwirkt auf den je konkreten Lektüreakt in einem konkreten Medium, der zwar in seiner historischen Faktizität blinder Fleck bleibt, als imaginär implizierter aber greifbar wird beispielsweise über Werbeanzeigen. Nicht zuletzt geht es um die mediale Aushandlung von ›Literarizität‹.

Leitfragen der Teilprojekte aus der Sicht ›Journal versus Buch‹:

TP 1:

  • Wie lässt sich die Übergängigkeit von Buchpublikationen in Fortsetzungen bzw. Journaltexten in Jahrgangsbände beschreiben und konzeptualisieren?
  • Wie lassen sich solche Medienformatwechsel in Textstrukturen nachweisen?

TP 2:

  • Wie reflektieren Journale materialiter ihre Journalförmigkeit als Spielraum ›chronopoetischer‹ Gestaltung?
  • Wie verhalten sich Zeitblätter hinsichtlich ihrer journalistischen Darstellungsformen und Modi ihrer Archivierung zur Buchförmigkeit?

TP 3:

  • Wie bringen sich Journal- und Buchförmigkeit als konkurrierende Marktfaktoren optisch zur Geltung? Welchen (auch marktbezogenen) Stellenwert haben Übergangs- und Mischformen?
  • Welche Publika werden durch die materiale Gestaltung des jeweiligen medialen, generischen, speziellen Formats explizit oder implizit adressiert? Inwiefern sind Hinweise auf formatübergreifende Rezeptionen, etwa durch Zitation oder Werbung, zu beobachten?

TP 4:

  • Illustrierte Bücher der 1830er/40er erscheinen journalähnlich, nämlich unangenehm interrupt als Lieferungswerke — inwieweit werden Illustrationsimporte aus diesen gebrochenen Texten ins Journal dazu genutzt, um dort mit medienformatspezifischen Mitteln Kohärenz zu erzeugen?
  • Welche gemeinsamen, welche divergierenden Illustrationsstrategien lassen sich in Büchern und Journalen beobachten?

TP 5: 

  • Welche fotografiespezifischen Erscheinungsformen lassen sich in der Journalliteratur finden, die im Kontrast zu Fotobüchern und Fotografien in Büchern stehen?
  • Welche Formen serialisierter Fotografie streben in Richtung der stärker geschlossenen Form des Buchs?
  • Wie werden unterschiedliche Medien innerhalb des Mediums Journal im Vergleich zum Medium Buch konstelliert?

TP 6:

  • Findet die Bildergeschichte ihre erste mediale ›Heimat‹ in satirischen Journalen wie den Fliegenden Blättern oder dem Kikeriki, erscheinen doch zum Teil auch parallel eigenständige Buchpublikationen und Nachdrucke in Buchform, die nicht nur die Frage aufwerfen, wie sich der jeweilige Zuschnitt der Medien auf die Einrichtung der reproduzierten Bildergeschichten und Comics auswirkt, sondern auch und besonders, ob diese Wirkungen auf das Ausgangsmedium zurückwirken und so Transformationen etwa der visuellen Gestaltung auslösen.
  • In satirischen Zeitschriften werden seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts das Buch als Lektüregegenstand und die damit einhergehenden Lektürepraktiken vermehrt thematisiert und nicht selten visuell dargestellt. Es drängt sich die Frage auf, ob und wie sich die Zeitschriften vom Buch abgrenzen, z. B. indem sie medienspezifische Praktiken lancieren.