Zusammenfassung
In direktem Anschluss an das Vorgängerprojekt „Fragmentkonstellationen“ hält das Projekt „Fragmentwanderungen“ an der Prämisse fest, dass die Praktiken der fotografischen Kultur das fotografische Bild als Fragment voraussetzen, das es ästhetisch, kontextuell und medial zu ergänzen und zu einer Sinneinheit formen gilt. Das Erkenntnisinteresse richtet sich nun allerdings nicht mehr allein darauf, wie Journale Fotografien in sinnhafte Konstellationen bringen, sondern beleuchtet diese Strategien nun in einer medienvergleichenden Perspektive. Seitdem fotomechanische Reproduktionsverfahren ab den 1880er Jahren ermöglichten fotografische Abbildungen ins Druckbild einzubinden und untereinander, zu anderen Bildformen und zu schriftförmigem Text in Konstellation zu setzen, stehen sich die Printmedien Journal und Buch als alternative Präsentationskontexte für Fotografien gegenüber. Der formatspezifisch unterschiedliche Einsatz von Fotografien wird als Schauplatz verstanden, auf dem Mediendifferenzen inszeniert werden. In einem Längsschnitt durch das 20. Jahrhundert gilt es historisch zu differenzieren, wie wandelhaft die Medialität von Journal und Buch hergestellt wird, indem Fotografien auf je eigene Weise konstelliert werden.
Anhand von Aufnahmen, die zeitnah sowohl in Journal und Buch publiziert werden, die also gewissermaßen zwischen den Medienformaten wandern, sollen die für jedes Medium charakteristischen Strategien der Konstellierung herausgearbeitet werden. Konkret betrachtet werden dabei Bewegungen zwischen Illustrierten (z.B. Stern, Life, Paris Match), Mode- und Lifestylezeitschriften (z.B. Die Dame und die verschiedenen Ausgaben der Vogue) sowie Sportzeitschriften (z.B. Sports Magazine, Match l’intran, Sportillustrierte) und ihren buchförmigen Gegenstücken. Dabei ist zu prüfen, wie Eigenschaften wie Geschlossenheit, Kohärenz, Dauerhaftigkeit und Qualität differenziell vom Buch herausgestellt werden und wie bei der Wiederverwendung von Fotografien Prozesse der Kanonisierung ansetzen, die gegen die mit dem Journal verbundene Logik des fortgesetzten Bilderverbrauchs in Stellung gebracht werden. Es steht zu erwarten, dass sich je nach fotografischem Genre unterschiedliche Transformationen vollziehen. Während etwa beim Kontextwechsel von der Modezeitschrift zum Fotobuch eine Transformation vom Kommerz zur Kunst, von einer aktuellen Nachricht aus der Modewelt zu einem künstlerischen Werk vorherrschen könnte, ginge es in der populären Publikation von Olympia-Erinnerungsbüchern vermutlich stärker um die Einschreibung von Ereignissen ins soziale Gedächtnis. Beforscht werden sollen vorrangig englisch-, französisch- und deutschsprachige Publikationen. Der Untersuchungszeitraum setzt ein in den 1920er Jahren, als sich das Fotobuch als Publikationsform, die auch bereits publizierte Bilder wieder verwendet, zu etablieren beginnt; er endet um 1980, bevor die Digitalisierung Medialität und Mediendifferenz noch einmal grundsätzlich neu formatiert und sich neue Modi des Bildwechsels ankündigen.
Die thematische, internationale und historische Breite des Corpus dient dazu sichtbar zu machen, inwieweit die Mediendifferenz zwischen Journal und Buch generalisiert und einheitlich konstruiert oder durch spezifischere Formatierungen nach Thema, Land oder Zeit relativiert wird. In manchen Fällen (z.B. Walker Evans’ American Photographs oder der Weltausstellung der Fotografie) legt die Fragmentwanderung eine Zwischenstation in der Fotoausstellung ein, die einerseits von der Journal- zur Buchpublikation vermittelt, andererseits Fotografien aus Büchern erneut für journalförmige Publikation aktuell machen kann. In puncto Flüchtigkeit steht die Ausstellung dem Journal nahe, in ihrer Akzentuierung kultureller Wertigkeit verkörpert sie zugleich einen Anspruch an Dauerhaftigkeit, der den Weg ins Buch ebnet. Punktuell soll der medialen und medienverbindenden Logik dieser Scharnierstelle nachgegangen werden.
In einer Epoche der Mediengeschichte, in der ‚Illustration‘ eines der zentralen Features von Journalpublikationen ist, markieren die verschiedenen Umgangsweisen mit fotografischen Bildern exemplarisch die Mediendifferenz von Journal und Buch. Sie tragen dabei wesentlich zur Formierung der medialen Identität des Journals bei. Medien und Medienformate werden grundsätzlich als nicht gegeben, sondern als fortlaufend jeweils performativ hervorgebracht aufgefasst. Die Medialität des Journals wird in ihrer jeweils historischen konkreten Fassung für die konkrete Publikation vorausgesetzt, zugleich aber aufs Neue affirmiert, variiert und manchmal auch transformiert. In diesem Sinn hat die Journalmedialität eine Geschichte, die sie in Konstellation zu anderen Medien gewinnt: beispielsweise ‚innen‘ in der Konstellation von Fotografie zu Schrift, nach außen in Abgrenzung des Journals zum Buch, das Fotografien auf andere Weise in sich aufnimmt. Das Forschungsprojekt verspricht mithin einen zentralen Beitrag zu den Mediengeschichten von Fotografie, Journal und Buch, indem es anhand jeweils konkreter Fälle beobachtet, wie sich diese in Differenz zueinander als Medien konstituieren.