Fragmentkonstellationen: Periodisierte und serialisierte Fotografie (1845–1910) (TP 5)

Zusammenfassung

„Die Fotografie [umgibt] [e]ine Bedeutungslosigkeit […], die nur durch das Hinzufügen eines Textes aufgefüllt werden kann“ hat Rosalind Krauss formuliert ([1] „Anmerkungen zum Index: Teil 1. In: Dies: Die Originalität der Avantgarde und andere Mythen der Moderne, (Geschichte und Theorien der Fotografie, Bd. 2), hg. von Herta Wolf, Amsterdam/Dresden 2000, S. 249-264, hier: S. 259.): Im Journal tritt dieses unvollständige, fragmentarische Bild der Fotografie nie allein auf, ganz im Gegenteil: es bildet eine Konstellation mit einer Vielzahl an Paratexten, Verweisen, Rahmungen, weiteren Abbildungen — Fragmentkonstellationen. Innerhalb der Journalliteratur werden fotografische Bilder als Teil eines dichten Netzes von Verweisen simultaner Art oder sequentieller Art erschlossen und so ‚defragmentiert‘.

Bei der Analyse von schriftgebundener Journalliteratur drängt sich Fotografie somit zum einen als Kontrastfolie auf, insofern Fotografien von Beginn an zwar seriell und periodisch publiziert werden, dabei aber einer schriftgebundenen Formaten entgegengesetzten Logik folgen. Zum anderen aber fungiert die Fotografie auch als paratextueller Partner (inter-medial wie intertextuell), der im Zeitschriftenlayout simultane Konstellationen mit schriftgebundenen Texten eingeht. Fotografie wird in Spannung zu sprachlichen Texten gesehen, insofern fotografische Bilder – anders als im Medium Schrift gebildete Texte (anders auch als traditionelle Bilder) – als Fragmente, als aus dem Raum-Zeit-Kontinuum herausgezogene Schnitte, gelten.
Ein Ziel des Teilprojekts besteht daher darin, das Medienformat des Journals als spezifische Form der De-Fragmentierung von Fotografien zu charakterisieren. Das Format des Journals wirkt auf die Fotografie gerade nicht fragmentierend, sondern als Zusammenhang herstellend: zum einen ›binnenmedial‹, wenn fotografische Bilder innerhalb desselben Heftes oder über mehrere Hefte hinweg serialisiert werden, so dass Konstellationen fotografischer Bilder untereinander entstehen; zum anderen intermedial, wenn Schrift, Schriftbild (Typographie) und verschiedene Bildmedien zueinander in Beziehung treten und eine Pluralität von Sinnangeboten eröffnen.
In diesem Sinn strebt das Projekt in zwei Richtungen: Zum einen herausarbeiten, welche Zusammenhänge das Format des Journals Fotografien gewährt; zum anderen aufzeigen, wie sich die illustrierten Journale mit dem Aufkommen der neuen, technischen Bildform wandeln. Durch formale und semantische Analyse sollen die für das Journal typischen Konstellierungen von Fotografien historisch, generisch und ländervergleichend (Deutschland, Frankreich, Großbritannien) differenziert werden, indem technikbasiert zwei Phasen unterschieden werden. Für die Jahre von 1844 bis 1880 werden zu Serien zusammengestellte Fotografien untersucht, die oft als sogenanntes Lieferungswerk im Abonnement vermarktet werden und zwischen Buch und Journal oszillieren (wie z.B. Talbots The Pencil of Nature). Insbesondere Reise- und Porträtfotografien werden in periodisierter Form und mit Textbeigaben publiziert. Mit der Autotypie, die sich als Verfahren, Text und Fotografie gemeinsam zu drucken, bis ca. 1910 durchsetzt, etabliert sich die Fotografie als Standard der Journalillustration. Für beide Phasen gilt es die charakteristischen sinnstiftenden Strategien herauszuarbeiten, die sequentiell zwischen den Zeitschriftennummern (etwa typische Rubriken) oder auf der Zeitschriftendoppelseite (etwa in Bildmontagen und -mosaiken) genutzt werden.
Analytisch zu sichern ist damit, ob die Fotografie im Kontext der Zeitschrift ihre Fragmentarität ausspielt oder zurücknimmt, beziehungsweise inwiefern sie genutzt wird, um ihren Kontext zu infizieren, zu ihr konstellierte Texte zu schließen oder zu öffnen. Wo und wann entstehen Konstellationstypen wie Mosaikbilder, wie verfestigen und verbreiten sie sich? Wie stark sind sie an das Medium Fotografie gebunden? Welche Bedeutungen generieren sie? Die verschiedenen Verweisverfahren sollen herausgearbeitet werden, um einen Vergleich mit den entsprechenden literarischen und bildlichen Strategien anzustreben, die von den anderen Teilprojekten fokussiert werden. Erst vor dieser Folie lassen sich fotografiespezifische Erscheinungsformen in der Journalliteratur präzise konturieren. Umgekehrt lassen sich die für die Journalliteratur zentralen Prozesse der Fragmentierung und Defragmentierung sowie die anschließenden Flow-Effekte (d.h. Vor- und Rückverweise, die Sinneinheiten aufbrechen und neu zusammensetzen) aus Perspektive der Fotografie idealtypisch systematisieren und für die anderen im Medium des Journals integrierten Medien produktiv machen: Wie werden unterschiedliche Medien innerhalb des Mediums Journal konstelliert?