Optische Auftritte – mise en page in Journal- versus Buchliteratur (TP 3)

Zusammenfassung

Das Teilprojekt ›Optische Auftritte‹ richtet das Augenmerk auf das Erscheinungsbild unterschiedlicher Medienformate. Es begreift die wechselseitige Semantisierung literarischer Texte und der je unterschiedlichen typographischen wie materialen Gestaltung ihrer Trägermedien als bedeutenden Faktor literarischer Kommunikation und als lohnendes Feld einer Medienliteraturgeschichte.

Druckerzeugnisse treten nicht in abstrakter Form, als ›bloße Texte‹ an die Öffentlichkeit, sondern abhängig vom jeweiligen Medienformat in je spezifischer, um die Leseraufmerksamkeit konkurrierender Gestaltung. Austragungsort dieses Konkurrierens ist der literarische Markt, der sich mit der sogenannten Leserevolution im späten 18., vor allem aber im Zuge der Industrialisierung der Buch- und Journalproduktion zu Beginn des 19. Jahrhunderts neu formiert. Neben das monographische Buch treten als konkurrierende Trägermedien literarischer Texte nach und nach weitere Formate mit je spezifischer Gestaltung: Zeitungen, Zeitschriften, Taschenbücher, Anthologien, Reihenveröffentlichungen und Werkausgaben. Hohe Breitenwirksamkeit erzielen ab etwa 1810 insbesondere das aus der Almanach- und Kalenderkultur hervorgegangene, zumeist aufwendig gestaltete Modemedium Taschenbuch und ab der Mitte des 19. Jahrhunderts die Tageszeitung. Vor allem sie konkurrieren auf dem ›Schauplatz‹ literarischer Öffentlichkeit mit der lange Zeit dominierenden monographischen Buchveröffentlichung. Literarische Texte (hier im Sinne von Belletristik) machen, anders als es die in erster Linie am goethezeitlichen Verständnis von Werk und Autorschaft Maß nehmende Literaturgeschichtsschreibung nahelegt, auf diesem Markt daher keineswegs nur in monographischer Form und mit heute kanonischen Autornamen von sich reden, sondern treten in einer Vielzahl von Medienformaten auf unterschiedlichste Weise in Erscheinung.

Was auf diesem durch Konkurrenz und Interferenz der Medienformate wie der jeweils zu gewinnenden Publika geprägten Marktplatz als ›Literatur‹ gehandelt wird, bildet den Untersuchungsgegenstand des Teilprojekts. Es zielt auf die vor der (Nach-)Goethezeit kontrovers durchgesetzten literaturhistorischen Kanonisierungsprozesse und sucht zu klären, wie die vom zeitgenössischen Markt her bestimmte Literatur sich zu diesem Markt medial verhält, wie literarische Texte mit ihren optischen Auftritten Stellung beziehen, wie sie in je spezifisch gestalteten Formaten auf sich aufmerksam machen, um Leseraufmerksamkeit buhlen, dabei explizit oder implizit über Medienformate reflektieren und womöglich Präferenzen zum Ausdruck bringen.

Das Teilprojekt wird dies an ›Mehrfachauftritten‹ literarischer Texte leisten, an Fällen, in denen literarische Texte in unterschiedlichen Formaten veröffentlicht wurden, nacheinander, zuweilen aber auch simultan, und so im direkten Vergleich zu erkennen geben, wie sie sich in Gestalt ›medialer Statements‹ in Szene setzen und in ein literarisches Marktgeschehen eingreifen, das anderen Gesetzmäßigkeiten unterliegt als den von der durch die goethezeitlichen Kanonisierungsprozesse angestoßenen Literaturgeschichtsschreibung überlieferten.

Es wendet sich hierfür in synchronen Schnitten und mit dem Fokus auf Brennpunkten der literarischen Öffentlichkeit u.a. Taschenbüchern zu wie der Urania (Leipzig, 1810-1848), dem Taschenbuch für Frohsinn und Liebe (Wien, 1826-1827), dem Vielliebchen (Leipzig, 1828-1861), der Aglaja (Wien, 1815-1832), Unterhaltungsblättern wie dem Gesellschafter oder Blätter für Geist und Herz (Berlin, 1817-1850), dem Sammler (Wien, 1809-1846), Familienblättern wie der Gartenlaube (Leipzig, 1853-1937) und Tageszeitungen wie der Kölnischen Zeitung (Köln, 1798-1945). Ziel ist es, durch Fallstudien zu jeweils mehrfachpublizierten kanonisierten, trivialisierten und ›vergessenen‹ Texten zum Projekt einer medienliteraturgeschichtlich revidierten Literaturgeschichte den Entwurf einer impliziten Medienliteraturgeschichte beizusteuern, die vom literarischen Druckwerk ›selbst‹ vorgetragen wird.