Journalmedialität ist immer auch Journalvisualität. Das gilt analog natürlich auch für das mediale Format Buch. Doch während die Buchgestaltung, insbesondere da, wo sie als Buchkunst anzusprechen ist, eigene Forschungsaufmerksamkeit seitens der Buchwissenschaft wie der Kunstgeschichte genießt, steht die Buchillustration, zumal die gedruckte, im Ruf bloßer Gebrauchsgraphik. Für die massenhaft technisch reproduzierte Journalillustration gilt dieses Verdikt a fortiori. Und wo solche periodisch publizierten Illustrationen, bspw. die regelrecht mit der ersten Generation literarischer Taschenbücher assoziierten Kupferstiche von Daniel Chodowiecki, doch näherer wissenschaftlicher Beachtung wert erscheinen, bezieht diese sich wie selbstverständlich auf das einzelne Bildkunstwerk, das Kontextualisierung ggf. nicht im medialen Schrift-Bild- und Bild-Bild-Verbund seines Erstpublikationsorts erfährt, sondern in werkbiographischen oder gattungsgeschichtlichen Zusammenhängen.
Dabei macht gerade das visuelle Design des Journals seit dem 19. Jahrhundert in gleichem Maße, wie ein breiteres, inhomogenes Publikum adressiert wird, in spezifischer Weise das ›Gesicht‹ dieses medialen Formats in Differenz zum (belletristischen) Buch aus. Und dies nicht nur durch die zunehmende Einbeziehung von Illustrationen, seit den 1880er Jahren mittels Autotypie auch von Fotografien, oder durch die Einschaltung von Anzeigen und Werbegraphik in das Layout der Journal(doppel)seite. Vielmehr ermöglichen Zeitungs- und Annoncensatz gegenüber dem für Bücher üblichen Werksatz auch größere typographische Varianz und somit eine Schriftbildlichkeit, die sich als visuell gestaltete eigens zur Geltung bringt. Für das zwischen Buch und Journal rangierende Medienformat des literarischen Taschenbuchs wird das aufmerksamkeitheischende ›zierliche‹ Erscheinungsbild regelrecht zum konstitutiven Marktfaktor. Das visuelle Spektrum, über das zugleich auch generische Formatzugehörigkeit signalisiert wird, reicht vom Einsatz unterschiedlicher Schriften und Schriftgrößen sowie von Auszeichnungsschriften über den flächensyntaktischen Aufbau der (Doppel‑)Seite bis hin zur Entscheidung mancher Zeitschriftenformate, sich nicht am buchtypischen Werksatz zu orientieren, sondern mit Quartformat, Zeitungskopf auf der ersten Seite jeder Nummer und gespaltenem Satz am typographischen Dispositiv Zeitung. Die für das Medienformat Journal charakteristische, im Wechselspiel von Kohärenzbildung und Brechung sinnkonstitutive Paratextualität ist so in entscheidender Weise auch ein typographisch-visuelles Phänomen. Gleichwohl steht, abgesehen von einigen jüngeren Einzelstudien zu zumeist illustrativen Komponenten, eine systematische Erforschung der Journalvisualität im ›langen‹ 19. Jahrhundert bislang aus.
Auf dieses Forschungsdesiderat, das keine bildwissenschaftliche ›Enklave‹ darstellt, sondern modalitätenübergreifend in engster Wechselwirkung mit Journal(para)textualität zu sehen ist, zielt die Leitdifferenz »Bild versus Schrift«. Dabei gilt das Augenmerk medialen Differenzen ebenso wie medialen Konvergenzen: generisch abgestuft in der Relation zwischen Journalvisualität und Buchvisualität, modal nuanciert im Spektrum journal- und buchliterarischer Visualisierungsstrategien zwischen Schrift und Bild. Unter dem Aspekt intermedialer Konkurrenz und dynamischer Hierarchisierung stehen zudem Fragen der Rahmung zur Debatte: durchbilderte Schrifttexte sind umgekehrt perspektiviert auch als verschriftete Bilder lesbar, ein Spannungsverhältnis, das in Bild-Schrift-Kompositionen wie der Bildergeschichte oder dem comic strip als konstitutiv für Journalvisualität reflektiert wird.
Leitfragen der Teilprojekte aus der Sicht ›Bild versus Schrift‹:
TP 1:
- Wie schlagen sich intermediale Konstellationen in textuellen Mustern und narrativen Verfahren (Szene, Genre) nieder?
- Inwiefern unterstützen Bilder Autor- und Werkpolitiken und beeinflussen Kanonisierungsprozesse?
TP 2:
- Inwiefern wird Schriftvisualität im Medium Zeitschrift zum Reflexionsmoment von Zeitverschriftung?
- Welche ›chronopoetischen‹ Implikationen hat die dominierende Bilderlosigkeit deutschsprachiger Zeitblätter der Napoleonischen Befreiungskriege? Wie sind Ausnahmen zu bewerten?
TP 3:
- Welches semantische Potential entfaltet die Schriftvisualität in Wechselwirkung mit dem literarischen Markt?
- Wie agieren Bild- und Wortkomponenten in unterschiedlichen, zwischen Journal- und Buchförmigkeit abgestuften Medienformaten Konkurrenzen auf dem literarischen Markt aus?
TP 4:
- Xylographie, maschinell hergestelltes Papier, Dampfschnellpresse und Stereotypie/Klischee — das sind wesentliche Voraussetzungen für das Aufkommen illustrierter Journale im früheren 19. Jahrhundert. Inwieweit erwächst aus diesen drucktechnikgeschichtlichen Bedingungen eine medienformatspezifische ‘Grammatik’ illustrierter Texte, Grundregeln einer verbalvisuellen ‘Syntax’, einer ‘Zusammenordnung’ von Wort und Bild im Journal?
- In den Text gedruckte xylographische Illustrationen machen das Wort als Schrift in seiner Visualität und Materialität bewußt, in einem nachdrücklichen Sinn ‘sichtbar’ — welche journalspezifischen Semantisierungspotentiale erwachsen hieraus für das Wort als Schrift, für die beidseitig bedruckte, womöglich tendenziell transparente Seite?
TP 5:
- Wie werden Fotografien durch begleitende Wortbeiträge semantisiert und wann wird die Schrift durch die Bebilderung selbst bildhaft?
- Welche Strukturmerkmale und Layoutveränderungen zeichnen sich ab, wenn man die Schrift-Bild-Beziehungen in der Journalliteratur mit dem Fokus auf die Fotografie diachron betrachtet?
- Wie stark beeinflussen sich wechselseitig Layout, Fotografie und Schriftbeiträge in der Journalliteratur?
TP 6:
- Vielleicht mehr als andere Schrift und Bild verbindenden Textsorten in Journalen pflegen Bildergeschichten und Comics einen zuweilen ans Ludistische grenzenden, vielfach selbstbezüglichen Umgang mit ihrer eigenen Visualität, wie als Vexierbilder angelegte Erzählungen oder die häufige Thematisierung von Bildmedien (als Bild im Bild) und Bilderzeugungstechnologien bezeugen. Eine Leitfrage ist in diesem Zusammenhang, ob und wie das visuelle Design der Bildergeschichten und Comics auf dasjenige des (satirischen) Journals bzw. der Tageszeitung eingewirkt hat – und vice versa.
- Diese Frage stellt sich insbesondere mit Blick auf mögliche Interdependenzen des sowohl als Rahmen fungierenden wie auch mit gezeichneten Rahmen operierenden visuellen Designs und des ebenfalls auf gezeichneten Rahmen fußenden comic strip.